Trauma-Informiert-Leben

MeToo Filmkritik: Nichts, was uns passiert.

Filmkritik Nichts, was uns passiert

Alkohol, ein wunderbarer Sommer, Studentenleben – ist das der Stoff, der Katastrophen schreibt? Häufig geht es in der persönlichen Betrachtung um mehr als nur eine Wahrheit. Die Literaturverfilmung: „Nichts, was uns passiert“ zeigt uns das auf ganz fabelhafte Weise und zeichnet ein emotionales und komplexes Bild, wie Missbrauch und sexualisierte Gewalt Menschen zerstört und Trauma sich seinen schwierigen Weg durch den Alltag bahnt. Die Hauptdarstellerin Emma Drogunova spielt ihre Rolle als Betroffene hervorragend. Der Film allgemein tanzt förmlich die Klaviatur im traumaphysiologischen Kontext und bringt dieses wirklich schwierige Thema, ja – ich schreibe wirklich unterhaltsam und zugleich ungeschönt, direkt und dennoch unter Auslassung des Tathergangs an die Zuschauer.

Nichts, was uns passiert – Die Handlung

Es ist Sommer. Getragen von durch PublicViewing aufgeheizter Stimmung, startet der Film flirtreich und mit teils provokanten Diskussionen zwischen Anna und Jonas, zwei Studenten. Der erste One-Night-Stand zwischen den beiden verraucht im Film, wie die unzähligen Zigaretten, die sich die jungen Leute immer wieder drehen. Die studentische Clique rund um die beiden zeigt sich intellektuell, zugewandt. Annas bester Freund feiert seinen 30. Geburtstag. Im Rahmen der Party wird zunächst viel getrunken, gespielt, gelacht. Anna ist sturzbetrunken, kann nicht mehr stehen und sich im Prinzip auch kaum noch äußern. Sie wird von Jonas auf ein Zimmer getragen, eine Szene zeigt, wie er sie zwar eigentlich vorsichtig aber quasi wie eine Puppe an den Füßen im Bett zurechtzerrt.

An der Stelle verschwimmt das Bild immer mehr, wird dunkler, Details werden ausgeblendet.

Kurzweilig und geschickt wechselt der Film immer wieder die Erzählperspektiven. Podcasterin Kelly interviewt durch den gesamten Film sämtliche Beteiligte. Das sind zum Beispiel die Komilitonen, die Eltern von Jonas, die Mitbewohnerin von Anna, die Schwester von Anna und lässt sie alle damit sehr authentisch zu Wort kommen. Sie versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. War es nun ein Missbrauch? Wem kann man glauben, wie reagiert ein Umfeld und wie bewusst ist sich ein möglicher Täter eigentlich über seine Verantwortung? Und was könnte im Gegenzug dazu eine mögliche Lüge über die Tat für einen Nichttäter bedeuten?

Nach zwei Monaten vertraut sich Anna ihrer Schwester Daria (gespielt von Katja Hutko) an und kurz darauf erstattet Anna Anzeige. Das polizeiliche Verhör: Ernüchternd. Die Polizistin belehrt, dass Anna als junge Frau nicht soviel trinken sollte, dann würde so etwas nicht passieren. Ein Schuldvorwurf. VictimBlaming. Beschämung der Betroffenen.

Nichts, was uns passiert – das MeToo-Drama

Der Film zeigt anschaulich, wie schnell und in welchen eigentlich vertrauten Kreisen ein Missbrauch geschieht – geschehen kann.

Sie sagt: Es war eine Vergewaltigung. Er sagt: Es war einvernehmlicher Sex.

Der Film zeigt, wie allein sich eine Betroffene fühlt und mit wie viel Skepsis sowie Vorwürfen man ihr begegnet aber eben auch, wie schwer es ist, solche Fälle aufzuklären, Täter anzuklagen und damit Verantwortliche zu benennen.

Sehr realitätsgetreu bringt der Film genau das Dilemma rüber, was Betroffenen das Leben zur Hölle macht: Es wird schlussendlich kein Urteil gefällt.

Was lehrt uns der Film über Trauma: Nichts, was uns passiert

Und genau das ist die eigentliche Botschaft, die der Film sehr gut transportiert. Die Machtlosigkeit, die Betroffenen geschieht. Dabei bleibt im Film völlig offen – was konkret in der besagten Nacht geschehen ist. Keine Wertung. Spannend ist in jedem Fall, wie man als Zuschauer versucht ist, Partei zu ergreifen.

Es geht nicht in erster Linie darum mitzuteilen, dass schreckliche Dinge im Leben passieren. Der verfilmte Debütroman von Bettina Wilbert ergreift aus meiner Sicht die gelähmte Stimme der Betroffenen, um zu zeigen – wie wehrlos, wie machtlos – auch die Stärksten unter uns sein können und das es jedem passieren kann.

Was lernen wir in dem Film über Trauma?

Aus der Sicht der Traumaphysiologie startet der Film ein einer Verspieltheit, die gesunde Vagusaktivität ist schön zu beobachten. Sie lässt Kontakt möglich werden. Es wird gesprochen, gelacht, geflirtet. Aber auch der kämpferische Sympathikus ist schon am Start. Jonas fühlt sich durch Annas kecke Art provoziert, herausgefordert. Irgenwann lässt Anna ihn in der Kneipe einfach stehen. Im späteren Verlauf wird gezeigt, wie Substanzmissbrauch einen Mensch in eine Art Shutdown und damit in die Unfähigkeit zur aktiven Handlung manövriert.

Es wird nicht mehr normal kommuniziert. Es kann nicht mehr normal kommuniziert werden, denn beide Personen sind betrunken. Die Grenzen beginnen zu verschwimmen – Grenzen sind gefühlt nicht mehr vorhanden. (Doch Körpergrenzen sind immer da!) Später sagt Jonas – sie hätte weder Nein gesagt, noch sich gewehrt. Hier beginnt das Problem – wie soll sie denn auch, wenn das Gehirn vom Alkohol vernebelt im Shutdown verweilt?

Kritisch fragt ihn die Podcasterin, woher er denn gewusst hätte, dass sie den Sex in diesem Moment wollte. Darauf hat Jonas hat keine Argumente mehr, verbirgt sein Gesicht in seinen Händen.

Fazit zum Film: Nichts, was uns passiert

Der Film arbeitet sehr schön heraus – das Missbrauch nicht einfach so geschieht, sondern dass sich Täter für ihre Taten aktiv entscheiden.

Es wird außerdem anschaulich gezeigt, dass Opfer – keine sein wollen. Anna spricht es aus: „Ich will kein Opfer sein.“ Und im Gespräch lädt die Podcasterin sie ein, davon zu träumen, was ihre Mutter hätte zu ihr sagen können.

Anna kreiert dabei den bewegenden Satz: „Du musst dich für nichts schämen, für das du nicht schuld bist.“ und „Was dir passiert ist, sagt nichts darüber aus, wer du bist.“

Unglaublich starke Sätze, die die Autorin hier verwendet hat.

Der Film zeigt weiterhin, wie ein Nervensystem nach solch´ einer Tat in eine Übererregung gerät und gleichzeitig in einem Funktionsmodus verbleibt. Anna geht Einkaufen, fährt hektisch Rad, vergisst fast ihren Code für das Zahlenschloss – und wird angetriggert, als der Täter ihr im Supermarkt begegnet. Fluchtartig verlässt sie den Einkaufsmarkt.

Großes Lob für die Autorin und auch für die Regisseurin – hier sind Kenner der Symptomatik am Werk gewesen und damit gibt es von mir eine ganz klare Anschau- oder Leseempfehlung.

Den Film gibt es in der ARD-Mediathek noch bis zum 1.6.23 zum anschauen.

 

Hast du den Film auch gesehen? Wie ging es dir damit? Schreib´ es ruhig mal rein in die Kommentare – ich fänd´ schön, wenn sich hier eine Diskussion zum Thema entwickeln würde.

 

Und andere schreiben das über den Film:

Nichts, was uns passiert: ARD-Film über Vergewaltigung (faz.net)

„Ich bin kein Opfer“: ARD-Film „Nichts, was uns passiert“ über eine Vergewaltigung im Freundeskreis – Etat – derStandard.de › Kultur

 

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