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Was ist Somatic Experiencing?

Was ist Somatic Experiencing?

Die Traumatherapiemethode Somatic Experiencing® dient der Regulation und Integration von Traumafolgestörungen. Sie verbreitet sich zunehmend, mittlerweile eilt ihr der gute Ruf voraus. Um die 30.000 Therapeuten praktizieren weltweit nach diesem Konzept. Mit der Verbreitung häufen sich natürlich auch die Fragen zu dieser Methode. Was ist eigentlich Somatic Experiencing®? Wie läuft eine Sitzung ab? Was passiert in einer solchen Therapiesitzung? Diesen und vielen anderen Fragen werde ich in diesem Beitrag ausführlich nachgehen.

Der Ursprung von Somatic Experiencing

Die Methode Somatic Experiencing® geht auf den in Kalifornien lebenden Biophysiker und Psychologe Dr. Peter A. Levine zurück. Bereits seit 1969 befasst er sich mit den Mechanismen, welche letztendlich zu diesem sehr schlüssigen und auf Neurophysiologie basierendem Konzept geführt haben. 2010 wurde er für sein Wirken, was gleichzeitig sein Lebenswerk ist, von der Amerikanischen Vereinigung für Körperpsychotherapie ausgezeichnet. Seine Lehre wird tief gestützt durch seine eigene Erfahrung in der Verarbeitung eines Autounfalls, seiner forschenden Tätigkeit als Biophysiker und Psychologe sowie sein authentisches Dasein als Dozent.

Alles begann mit Tierbeobachtungen von frei lebenden Tieren und ihren Reaktionen auf die verschiedensten Ereignisse. Und obwohl sie naturgegeben einer Vielzahl von traumatischen Ereignissen unterlagen, entwickelten sie im Prinzip nie Traumafolgestörungen oder Symptome, wie wir sie von uns Menschen kennen.

Da macht natürlich neugierig.

Er forscht und beginnt sich ab Ende 70iger Jahre mit Dr. Stephen Porges und auszutauschen. Der ebenfalls in Amerika lebende Wissenschaftler und Professor für Psychiatrie veröffentlicht 1994 die sogenannte Polyvagaltheorie.

Ganz grundlegend geht Dr. Peter Levine davon aus, dass im Fall von echter oder gefühlter existentieller Bedrohung ein vom Stammhirn generiertes Notfallprogramm startet. Dieses zeigt sich entweder in Form von Flucht, Kampf, Schockstarre oder untergebenem Verhalten. Tiere praktizieren dieses Verhalten sehr eindrücklich. Sicherlich hast Du schon mal gesehen, wie ein Hund zittert, nachdem er sich mit einem anderen Hund angelegt hat, auf allen Vieren rückwärts kriecht, wenn Herrchen schimpft oder Dir ist bestimmt schon mal ein Reh im Wald begegnet und kaum hat es Dich als Feind identizifiert, rast es fluchtartig von dannen.

Nun ging es Dr. Peter Levine also darum, diese Mechanismen zur Lösung von diesem körperlichen Stress auf den Menschen zu übertragen. Ein achtsames und freundlichkeitsbasiertes Konzept ist die Basis für gelungene Traumaheilung.

Was passiert bei Somatic Experiencing?

Ganz grundlegend geht es beim Somatic Experiencing um das Lösen von Fixierungen, das Vollenden von unvollendeten Prozessen sowie das wieder in Gang bringen gesunder Physiologie.

Traumatische Ereignisse haben allesamt die Gemeinsamkeit viel zu schnell, viel zu plötzlich und vor allem unverhofft aufzutauchen. Dies führt zumeist zur Überforderung vom menschlichen Organismus. Angst, Ohnmachtsgefühle und Hilflosigkeit sind typische Anzeichen einer Traumatisierung.

Durch die Arbeit werden körperliche, sensorische und auch affektive Prozesse in Gang gesetzt und so können Angst und Hilflosigkeit auf eine natürliche Art transformiert werden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob das Trauma erst kurz oder weit in der Vergangenheit liegt. Traumaarbeit nach dem Prinzip von Somatic Experiencing® ist jederzeit möglich.

Wie läuft eine SE Sitzung ab?

Eine Sitzung dauert in der Regel zwischen 45 – 60 Minuten. Manchmal mehr oder auch weniger. Damit der Lösungsprozess physiologisch ablaufen kann, gibt es ein paar feste Regeln für die Arbeit mit Somatic Experiencing®.

Das erste ganz wichtige Prinzip ist das Herstellen eines sicheren Raumes. Dafür ist der Therapeut zuständig und dafür wird ein SE-Therapeut umfangreich geschult. In diesem sicheren Raum geht es vordergründig um das Wahrnehmen psychischer und physischer Empfindungen.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Orientierung. Die Orientierung im Hier und Jetzt, also im Therapieraum aber auch die Orientierung im eigenen Leben und innerhalb der zu bearbeitenden Themen.

In den ersten orientierenden und stabilisierenden Sitzungen geht es vor allem um die Frage, wie resilient ist der Klient. Kann er bestimmte Sachen „halten“ oder switcht er bei kleinster Gelegenheit in autonome Muster oder in eine Dissoziation, also Abspaltung. Traumaverarbeitung setzt ein stabiles System voraus. Andernfalls besteht natürlich die Möglichkeit der Retraumatisierung, aufgrund der Kleinschrittigkeit ist das Risiko im SE jedoch eher als sehr gering einzustufen.

Gearbeitet wird immer mit den Dingen, die da sind. Im Vergleich zu anderen Methoden ist SE keine klassische Konfrontationsmethode. Man würde also einen Schlangenphobiker keine Schlange halten lassen, sondern eher daran arbeiten – wie dieser Klient Sicherheit, Selbstsicherheit finden kann und darüber die Angst regulieren, minimieren und im Idealfall spielt sie irgendwann keine Rolle mehr.

Der Therapeut fügt nichts hinzu, erfindet keinerlei Gründe oder Geschichten, warum oder wieso das alles beim Klienten so gekommen sein könnte. Ebenfalls bewertet oder interpretiert der Therapeut nichts, sondern es wird nur mit den Dingen gearbeitet – die spontan aus dem Klienten auftauchen. Taucht zum Beispiel ein Verkrampfungsgefühl im Bauch auf, geht man dem nach. Taucht Wut auf, dann arbeitet man mit dieser. Die Arbeit hat den großen Vorteil, dass nie die ganze Trauma- oder Lebensgeschichte erzählt werden muss.

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Geht es denn auch um das Trauma?

Natürlich begegnen wir in der Arbeit, die sich um Traumatisierungen dreht – den verursachenden Traumen.

Immer jedoch: Kleinschrittig, langsam, achtsam – titriert nennen die SE-Praktiker das.

Die meisten Klienten bringen ein konkretes Anliegen mit. Dieses wird in der Regel am Anfang der Stunde vom Therapeuten erfragt. Das könnte zum Beispiel lauten: Ich möchte weniger Angst haben. Erfreulicherweise funktioniert SE jedoch auch ohne ein Anliegen.

Was jetzt vielleicht sogar ein wenig abstrakt klingt, ist in der Praxis ein wunderbarer, ruhiger, manchmal auch energischer Prozess – der Schritt für Schritt alle Facetten der traumaverursachenden Situation filetiert und damit Neuverhandlung und neue Erfahrungen möglich macht.

Keine Sitzung gleicht einer anderen. Bei jedem Klient gibt es andere Schwerpunkte, andere Ziele, andere Möglichkeiten.

Somatic Experiencing – Kritik, Risiken und Nebenwirkungen

Natürlich begegnet man neuen oder unbekannten Methoden mit Skepsis, das ist ein natürlicher Prozess. SE muss sich vor allem als eine Methode durchsetzen, welche zur Zeit in Deutschland vordergründig von Heilpraktikern ausgeübt wird. Allein dieser Umstand bringt aus verschiedenen Richtungen eine völlig unbegründete Vorverurteilung mit sich.

Um es einfach mal wieder und vielleicht auch mit einem Augenzwinkern zu formulieren:

Heilpraktiker sind weder Hexen noch im Grundansatz esoterisch. Der Begriff Heilpraktiker ist eine geschützte Bezeichnung, die per Gesetz zur Ausübung der Heilkunde befähigt. Die meisten Heilpraktiker verbringen sehr viel Zeit in Ihrer Freizeit mit Weiterbildung.

Doch nun zurück zum SE. Aufgrund der sehr achtsamen, langsamen Arbeit, welche zu jedem Zeitpunkt den Klienten zur Eigenermächtigung und durchaus auch zur Abgrenzung ermuntert, ist das Risiko der Retraumatisierung sehr gering. Diese entstehen vor allem, wenn Klienten, Patienten durch medizinische oder therapeutische Maßnahmen überrascht und überfordert werden. Das SE setzt auf Aufklärung. Jeder Frage des Klienten wird sich ausführlich gewidmet. Verstehen ist ein wichtiger Teil von Traumheilung.

Gibt es spezielle Übungen im Somatic Experiencing?

Ja und Nein. Im Rahmen einer Weiterbildung zum SE lernen die Therapeuten gewisse Elemente, welche man auch als Übungen bezeichnen könnten. Es geht in dem Sinne jedoch nicht um das Abarbeiten eines gewissen Übungsprogrammes sondern vielmehr ist es die feine Aufgabe des Therapeuten, den Klienten durch seinen neurophysiologischen Prozess zu begleiten.

Dazu gehört – eben jene Elemente je nach Zustand des Klienten auszuwählen. Hohe traumaversursachte Erregung gilt es dabei sanft zu entladen. Fehlende Erregung wird durch aktivierende Elemente angehoben.

Wieviele Sitzungen sind nötig, um ein Trauma aufzulösen?

Das ist tatsächlich eine Frage, die sich pauschal nicht beantworten lässt. Wieviele Sitzungen Somatic Experiencing® notwendig sind, um ein Trauma aufzulösen, hängt ganz stark von der Art des Traumas ab. Die Anzahl der Stunden schwankt von 1-5 bis zu jahrelanger Begleitung.

Letztendlich bestimmt auch hier immer der Klient, ob und wie lange diese Arbeit für ihn hilfreich ist. Dann ganz im Gegenzug zur klassischen Psychotherapie mit festgelegtem Stundenkontingent, hat der Klient beim SE die freie Entscheidung.

Die Entscheidung zur Fortführung einer Therapie sollte aus Gründen der angestrebten Eigenermächtigung immer beim Klienten liegen. Die Handhabung in den Praxen ist dennoch unterschiedlich. Manche Therapeuten empfehlen im Vorfeld eine bestimmte Summe von Stunden und vergeben damit klassische Therapieplätze. Ich persönlich habe mich für eine sehr freie Gestaltung in meiner Praxis entschieden. Der Klient bekommt oder vielmehr holt sich in der Onlineterminbuchung einen Termin, wenn er den nächsten Impuls benötigt.

Was kostet eine SE Sitzung – Möglichkeiten der Kostenübernahme

Die Kosten für eine Sitzung Somatic Experiencing schwanken regional. In der Regel bewegen sich die Kosten zwischen 80 – 120 Euro. Manchmal werden Ermäßigungstarife angeboten.

Im Rahmen von privaten Krankenversicherungen, Zusatzversicherungen oder Beihilfen kann ein Teil der Kosten über die GebüH – die Gebührenordnung für Heilpraktiker geltend gemacht werden. Eine Garantie zur vollen Kostenübernahme gibt es nicht. Gesetzliche Krankenkassen erstatten leider bisher keine Kosten für diese Anwendung.

Somatic Experiencing® ist eine private Gesundheitsleistung, welche zunächst privat bezahlt werden muss.

Über die Kassensysteme hinaus gibt es jedoch die Möglichkeit über verschiedene themengebundene Fonds finanzielle Unterstützung zu bekommen. Das wären zum Beispiel der Fond für sexuellen Missbrauch oder auch der Opferhilfefond.

Wie finde ich einen geeigneten Therapeuten für SE?

Die einfachste und oft beste Möglichkeit ist die Mund-zu-Mund Propaganda. Einfach mal Freunde oder Bekannte fragen, ob sie jemand empfehlen können.

Darüberhinaus bietet die regionale Google-Suche viele Treffer.

Eine überregionale und recht umfangreiche Liste von SE-Therapeuten findet sich auf der Seiten vom Somatic Experiencing® Deutschland e.V.

Gibt es Studien zu Somatic Experiencing®?

Es gibt eine randomisierte kontrollierte Studie zu Somatic Experiencing®. Bereits 2017 haben die Autoren Danny Brom, Yaffa Stokar, Cathy Lawi, Vered Nuriel-Porat, Yuval Ziv, Karen Lerner und Gina Ross ihre Untersuchungen im Hinblick auf die Wirksamkeit von SE bei posttraumatischer Belastungsstörung veröffentlicht.

Worum ging es bei dieser Studie?

Die Studie lief über 3 Jahre. Die insgesamt 63 in die Studie einbezogenen Männer und Frauen wurden in eine Kontroll- und eine Behandlungsgruppe geteilt. Die Teilnehmer der Behandlungsgruppe erhielten 15 Sitzungen SE. Die andere Gruppe erhielt als Wartegruppe keine Anwendung. Im Ergebnis kommen die Untersuchenden zu dem Schluss, dass SE eine wirksame Methode darstellt. Denn sowohl im Hinblick auf PTBS als auch in Bezug auf Depressionssymptome konnten Verbesserungen festgestellt werden. Leider wurde die Studie durch die damals in Israel stattfindenden politischen Unruhen und Kriege irritiert.

 

Wie lange dauert die Ausbildung zum Somatic Experiencing® Therapeut?

Die Weiterbildung dauert 3 Jahre berufsbegleitend. Zunächst muss erwähnt werden, dass diese Weiterbildung in Fachkreisen als „Training“ bezeichnet wird. Das Training beinhaltet 4 Stufen oder Abschnitte.

Gestartet wird mit einem Intro. Dieses umfasst ein Wochenende und vermittelt die Grundzüge zum SE. Das Intro kann von jedem besucht werden und ist an keinerlei Vorerfahrung geknüpft. Rein aus meinem Erleben würde ich jedoch empfehlen, vorher ruhig mal ein paar SE-Sitzungen zu nehmen.

Wer sich für das dreijährige Training entscheidet, hat nun 6 Kursmodule vor sich. Diese starten mit dem ersten Jahr, welches „Beginner“ genannt wird.  Jedes Kursmodul dauert 6 Tage am Stück. Das zweite Jahr heißt „Intermediate“ und das dritte Jahr „Advanced“.

Zusätzlich zu diesen Seminaren sind eine gewisse Anzahl an Einzelstunden und auch Supervisionsstunden zu absolvieren.

Ganz grundlegend muss man jedoch sagen, ist SE nicht staatlich geschützt oder reguliert. Schlussendlich könnte sich jeder diese Bezeichung auf´s Schild schreiben, ganz unabhängig wieviele Stunden, Tage oder Wochen an Ausbildung absolviert wurden.

 

 

 

 

Quellen:

Internet:

https://de.wikipedia.org/wiki/Somatic_Experiencing

Bücher:

Sprache ohne Worte / Dr. Peter Levine

 

Weitere Materialien:

Vor einiger Zeit habe ich ein Video zu SE erstellt. Da es relativ Anklang gefunden hat, teile ich es auch hier sehr gern:

Erklär-Video:  SE – Was ist das und wie läuft eine Sitzung ab

Und wenn Du gern wissen möchtest, wie die Traumaintegration schlussendlich gelingt, dann empfehle ich Dir diesen Beitrag, den ich vor einiger Zeit verfasst habe:

Traumaintegration – wie funktioniert das?

 

 

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